Überspringen zu Hauptinhalt

HIV-Infektion als Kündigungsgrund?

Als Arbeitgeber und als Arbeitnehmer rücken die Bestimmungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) immer wieder in den Fokus des arbeitsrechtlichen Alltags.

Ein Fall eines Chemisch-Technischen-Assistenten (CTA) wurde Ende 2013 vom Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg hatte in seinem Urteil vom 13.01.2012 (Aktenzeichen 6 Sa 2159/11) die Kündigung des Mitarbeiters für zulässig erachtet und die Revision zugelassen.

Was war passiert?

Der CTA wurde bei der beklagten Arbeitgeberin in einem befristeten Arbeitsverhältnis vom 06.12.2010 bis 05.12.2011 eingestellt. Der Arbeitsvertrag sah die ordentliche Kündbarkeit innerhalb einer sechsmonatigen Probezeit vor. Die Beklagte stellt Arzneimittel zur Krebsbehandlung her, die intravenös verabreicht werden. In diesem Betrieb war der CTA in Produktion und Qualitätskontrolle in einem sogenannten „Reinraum“ eingesetzt. Auf die Produktion finden die Regeln des EG GMP-Leitfadens Anwendung.

Dieser Leitfaden, der die Standards der Arzneimittelherstellung sicherstellen soll, ist als Anlage 2 zur Bekanntmachung des Bundesministeriums für Gesundheit zu § 2 Nr. 3 der „Verordnung über die Anwendung der Guten Herstellungspraxis bei der Herstellung von Arzneimitteln und Wirkstoffen und über die Anwendung der Guten fachlichen Praxis bei der Herstellung von Produkten menschlicher Herkunft“ (kurz: „Arzneimittel- und Wirkstoffherstellungsverordnung“ AMWHV vom 27.10.2006) veröffentlicht. Die AMWHV beruht auf § 54 Arzneimittelgesetz (AMG) und dient der Umsetzung der Richtlinie 2003/94/EG in das deutsche Recht.

Nach Kapitel 2 des GMP-Leitfadens „sollten Vorkehrungen getroffen werden, die, soweit es praktisch möglich ist, sicherstellen, dass in der Arzneimittelherstellung niemand beschäftigt wird, der an einer ansteckenden Krankheit leidet oder offene Verletzungen an unbedeckten Körperstellen aufweist.“

Der bei der Beklagten mit der Durchführung von GMP-Untersuchungen beauftragte Betriebsarzt definierte als Ausschlusskriterien für eine Tätigkeit im GMP-Bereich

– chronische Hauterkrankungen im Bereich der Arme, Unterarme, Hände und Gesicht,

– chronisch verlaufende Hepatitis B oder C und

– HIV.

Diese Ausschlusskriterien sind Bestandteil des innerbetrieblichen Regelwerkes, auf dessen Grundlage die Genehmigung zur Arzneimittelherstellung erteilt wurde.

Bei der Einstellungsuntersuchung am 08.12.2010 offenbarte der Kläger dem Betriebsarzt seine HIV-Infektion. Der Betriebsarzt äußerte daraufhin in seiner Beurteilung am 14.12.2010 Bedenken gegen eine Arbeit des Klägers im GMP-/Reinraumbereich. In einem Personalgespräch am 04.01.2011 wurde dies zwischen dem Betriebsarzt, dem Kläger, dem Geschäftsführer der Beklagten und der Personalleiterin erörtert. Noch am selben Tag kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Wirkung zum 24.01.2011.

Am 21.01.2011 reichte der gekündigte CTA gegen die Kündigung und wegen Benachteiligung nach dem AGG Klage zum Arbeitsgericht Berlin ein. Das Arbeitsgericht bestätigte die Kündigung und wies die auf Entschädigung gerichtete Klage ab. Die Erkrankung des Klägers sei nicht als „Behinderung“ im Sinne von § 7 Abs. 1 AGG anzusehen und die Kündigung auch nicht willkürlich, weil die Beklagte die Sicherheit im Produktionsablauf als Kündigungsgrund habe heranziehen dürfen.

Gegen dieses am 28.09.2011 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts (Arbeitsgericht Berlin, 21.07.2011 – Aktenzeichen 17 Ca 1102/11) legte der Kläger am 26.10.2011 Berufung ein, die er am 18.11.2011 begründete. Die Erkrankung mit dem HI-Virus sei eine „chronische Erkrankung“ und daher unter die „Behinderung“ zu subsumieren. Die Therapie der HIV-Krankheit könne zu vergleichbaren Einschränkungen der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben, wie eine Behinderung, führen. Eine Übertragung des Virus auf die herzustellenden Produkte sei ausgeschlossen, meint der Kläger.

Die beklagte Arzneimittelherstellerin verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts. Die Produktion des Medikaments erfordere auch die Arbeit mit angeschliffenen Hohlkanülen, Glasfläschchen und Aluminiumdeckeln. Schnitt- und Stichverletzungen seien dabei möglich.

Das LAG Berlin-Brandenburg wies die Berufung  in seinem Urteil vom 13.01.2012 zurück. Die Kündigung der Beklagten war innerhalb der Probezeit unter Wahrung der zweiwöchigen Frist des § 622 Abs.  3 BGB aufgelöst worden. Die Kündigung stelle keinen Verstoß gegen das in § 7 Abs. 1 AGG normierte Verbot der Benachteiligung wegen einer Behinderung dar (§ 1 AGG) und löse daher auch keine Entschädigungszahlung nach § 15 Abs. 2 AGG aus.

Ob eine „symptomlose HIV-Infektion“ des Klägers eine Behinderung im Sinne von § 1 AGG darstelle, ließ das LAG offen. Eine Benachteiligung „aufgrund einer Behinderung“ liege nicht vor. Die Beeinträchtigung sei durch das Verhalten des Arbeitgebers entstanden, der sich auf die internen Standards gemäß dem GMP-Leitfaden berufen habe. Der Kläger vertausche „Ursache und Wirkung“. Die Kündigung sei nicht „wegen“ der HIV-Infektion erfolgt sondern wegen der sich daraus für die Beklagte ergebenden fehlenden Einsatzmöglichkeit des Klägers.

Das LAG weist aber zugleich auf Nr. 16.11 der GdS (Grad der Schädigungsfolgen)-Tabelle in Teil B der Anlage zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (Versorgungsmedizin-Verordnung – VersMedV) vom 10.12.2008 hin. Eine HIV-Infektion ohne klinische Symptome wird danach mit einem GdS von 10 aufgeführt. Der GdS sei nach den gleichen Grundsätzen bemessen wie der Grad der Behinderung (GdB), der die Auswirkungen von Funktionsstörungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben zum Inhalt hat.

Eine unterschiedliche Behandlung des Klägers sei jedoch jedenfalls nach § 8 Abs. 1 AGG zulässig gewesen. Eine unterschiedliche Behandlung ist danach wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes zulässig, wenn dieser Grund wegen der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist. Dies bejaht das LAG Berlin-Brandenburg: Das Fehlen einer HIV-Infektion stelle aufgrund der Bedingungen, unter denen der Kläger seine Arbeit als CTA bei der Beklagten auszuüben hatte, eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung dar. Das Bestreben der Beklagten, eine Verunreinigung der hergestellten Medikamente, die intravenös verabreicht werden, mit Erregern auszuschließen, sei eine Bedingung für die auszuübende Tätigkeit.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit seinem Urteil vom 19.12.2013 ( 6 AZR 190/12) die Entscheidung des LAG aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen. Das BAG stellt dabei fest, dass die Kündigung den Kläger unmittelbar im Sinne von § 3 Abs. 1 AGG benachteilige, weil sie in untrennbarem Zusammenhang mit seiner Behinderung stehe. Damit hat das BAG sich auch der Meinung angeschlossen, dass die symptomlose HIV-Infektion als „Behinderung“ im Sinne eines festgestellten GdB anzusehen ist.

Ob die Kündigung aus anderen Gründen gleichwohl gerechtfertigt ist, steht noch nicht fest. Dazu muss das LAG weitere Feststellungen treffen. Insbesondere muss aufgeklärt werden, ob die Beklagte durch angemessene Vorkehrungen den Einsatz des Klägers im Reinraum hätte ermöglichen können. Ist das nicht der Fall, sei die Kündigung (gleichwohl) wirksam, so das BAG. Ob dem Kläger eine Entschädigung zusteht, hängt davon ab, ob die Kündigung wirksam ist. Die schriftlichen Urteilsgründe des BAG sind noch nicht veröffentlicht.

 

An den Anfang scrollen