Von wohlwollenden Arbeitszeugnissen hatten wir letztes Mal gesprochen. Das Wohlwollen kann auch mal viel zu…
Der „Kündigungs-Schock“ ist abgeschafft
Bisher gängige Praxis war es in kriselnden Arbeitsverhältnissen, dass Arbeitgeber oder Arbeitnehmer/in irgendwann der Geduldsfaden reißt und es zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses kommt. Geht die Kündigung von Arbeitgeberseite aus, können Arbeitnehmer davon durchaus überrascht und auch „ins Mark“ erschüttert sein. In jenen Fällen ist eine Krankmeldung unmittelbar nach Erhalt der Kündigung keine Seltenheit – der Fachmann spricht hier vom „Kündigungs-Schock“. Die „Vorteile“ einer nachgewiesenen Arbeitsunfähigkeit für den Arbeitnehmer liegen auf der Hand: insbesondere wird in der Krankheitsphase kein Urlaub mehr „verbraucht“ aber ggf. dennoch weiter „angespart“, der somit bei tatsächlicher Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Geld abzugelten, sprich auszuzahlen ist.
Krank nach Kündigung – bisher nicht unüblich
Viele Arbeitgeber witterten hinter diesem Verhaltensmuster ein unredliches Verhalten der Arbeitnehmer, doch bisher gab der „gelbe Zettel“, wie die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AUB) wegen der Farbe auch genannt wird, dem Arbeitnehmer Recht. Die AUB hat den Beweisanschein der Vollständigkeit und Richtigkeit für sich und Arbeitgeber, die die Richtigkeit der AUB anzweifeln sind von der Einsatzbereitschaft des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) abhängig. Zwar konnte schon bisher ein Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit anzweifeln – es braucht aber ein Tätigwerden des MDK um den Beweiswert der AUB zu erschüttern.
Eigenkündigung und Krankheit – das geht nicht zusammen
Etwas übertrieben scheint es eine Arbeitnehmerin zu haben, die ganz aktuell vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt gegen eine Revision des Arbeitgebers wegen einer solchen „Kündigungs-Schock“-AUB den Prozess verlor (BAG, Urteil vom 08.09.2021, Aktenzeichen 5 AZR 149/21 – zitiert nach der Pressemitteilung des Gerichts Nr. 25/21 „Erschütterung des Beweiswerts einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung“).
Die Mitarbeiterin hatte das Arbeitsverhältnis selbst gekündigt und legte der Arbeitgeberin eine auf den Tag der Kündigung datierte AUB (Erstbescheinigung) vor. Bis zum Ende der Kündigungsfrist kamen Folgebescheinigungen, so dass die Mitarbeiterin tatsächlich für die gesamte Zeit ab der Eigenkündigung bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses „krankgeschrieben“ war. Die Arbeitgeberin verweigerte die Entgeltfortzahlung, woraufhin die Mitarbeiterin vor das Arbeitsgericht zog. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht (LAG Niedersachsen, Urteil vom 13.10.2020 – Aktenzeichen 10 Sa 619/19) gaben noch der Mitarbeiterin Recht und verurteilten die Arbeitgeberin zur Zahlung.
Ernsthafte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit
Dem „Kündigungs-Schock“ Automatismus setzt das BAG nun ein Ende. Den Beweiswert der AUB kann der Arbeitgeber nämlich erschüttern, wenn er, der Arbeitgeber, „tatsächliche Umstände darlegt und ggf. beweist, die Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit geben“, so das BAG. Und das oberste Arbeitsgericht stellt dazu einen Rechtssatz auf, den sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber gut merken werden:
Die Koinzidenz zwischen der Kündigung und der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit begründet einen ernsthaften Zweifel an der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit.
Mit anderen Worten: stimmen die Dauer der Arbeitsunfähigkeit und Datum der Kündigung bzw. die Kündigungsfrist überein, ist der Beweiswert der AUB von jeher nicht mehr gegeben. Die Arbeitnehmerin hätte nach Erschütterung des Beweiswertes der AUB selbst „substantiiert darlegen und beweisen“ müssen, dass tatsächlich Arbeitsunfähigkeit bestand.
Beweis durch Vernehmung des behandelnden Arztes
Einen solchen Beweis, dass Arbeitsunfähigkeit tatsächlich bestand, auch wenn der Beweiswert des „gelben Zettels“ erschüttert ist, kann der Arbeitnehmer insbesondere dadurch führen, dass der behandelnde Arzt von der Schweigepflicht entbunden wird und als Zeuge im Arbeitsgerichtsprozess aussagt.
Im konkreten Fall kam die Entscheidung des BAG für die Mitarbeiterin jedoch keineswegs überraschend – das Gericht teilt mit, dass die Klägerin auch nach einem Hinweis des Gerichts der ihr obliegenden Datlegungs- und Beweislast für das Bestehen einer Arbeitsunfähigkeit im konkreten Fall nicht hinreichend konkret nachgekommen war. Für die Beratungspraxis und die Handhabung durch Arbeitnehmer und Arbeitgeber wie auch die der Ärzte hat diese Entscheidung weitreichende Konsequenzen. Der „Kündigungs-Schock“ ist abgeschafft. Bei Fragen rund ums Arbeitsrecht fragen Sie einen Fachanwalt für Arbeitsrecht – ich berate Sie gern!