Überspringen zu Hauptinhalt

Das BVerfG zum „dritten Geschlecht“ – eine weitreichende Entscheidung

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 10.10.2017
(1 BvR 2019/16) entschieden (amtliche Leitsätze)

  1. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) schützt die geschlechtliche Identität. Es schützt auch die geschlechtliche Identität derjenigen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen.
  2. Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG schützt auch Menschen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen, vor Diskriminierungen wegen ihres Geschlechts.
  3. Personen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen, werden in beiden Grundrechten verletzt, wenn das Personenstandsrecht dazu zwingt, das Geschlecht zu registrieren, aber keinen anderen positiven Geschlechtseintrag als weiblich oder männlich zulässt.

 

„drittes Geschlecht“ – als Diskriminierungsmerkmal?

Die Entscheidung des BVerfG wird weitreichende Folgen für unseren Arbeitsalltag haben. Mit den Studierenden an der DHBW in Karlsruhe konnte ich zusammen mit meinem verehrten Kollegen Prof.Dr. Schindler die Auswirkungen sowohl auf das Arbeitsrecht als auch im Gesellschaftsrecht mit den Kursteilnehmern im Ersten und Fünften Semester diskutieren.

Im Ergebnis wird eine Stellenausschreibung „(m/w)“ nicht mehr ausreichen, um eine AGG-konforme, diskriminierungsfreie Ausschreibung sicherzustellen. Nachdem das BVerfG eine „dritte, neutrale, indifferente“ geschlechtliche Identität anerkennt, würden Zugehörige zu dieser Gruppe wohl diskriminiert, wenn Stellen nur „männlichen“ oder „weiblichen“ Bewerbern offen stehen sollten.

Es dürfte sich deshalb empfehlen, künftig auch diese Gruppe in die Ausschreibung zu integrieren, evtl. durch einen Zusatz „(m/w/ind.)“,  „(m/w/o)“ oder „(m/w/sonst.)“

Par. 31 BVerfGG und die GmbH-Gründung nach Musterprotokoll

Die Entscheidungen des BVerfG binden  die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden. So steht es in Paragraf 31 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes. In den dort normierten Fällen ergehen die Entscheidungen des BVerfG sogar „in Gesetzeskraft“.

Was gilt nun seit dem 17.10.2017, wenn ein/e Unternehmen/r/in eine GmbH nach Par. 2 GmbHG nach dem amtlichen Musterprotokoll gründen will?

Das amtlich vorgeschriebene Musterprotokoll muss bei „vereinfachten“ Gründungen nach Par. 2 Abs. 1a GmbHG verwendet werden. Es sieht aber nur die Bezeichnung der bisher gebräuchlichen zwei Geschlechter vor:

Heute, den . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ,

erschien vor mir, . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ,

Notar/in mit dem Amtssitz in

Herr/Frau1)

 

Die „hochgestellte 1“ wird im Musterprotokoll erläutert mit: 1) Nicht Zutreffendes streichen. Bei juristischen Personen ist die Anrede Herr/Frau wegzulassen.

Dieser Hinweis wird nach der Entscheidung des BVerfG nicht mehr ausreichen. Nach der Entscheidung aus dem Schlossbezirk der „Residenz des Rechts“ müssten die zuständigen Notare die Gründung nach dem Musterprotokoll derzeitiger Fassung wegen Verfassungswidrigkeit schlicht ablehnen. Der Gesetzgeber ist gefordert.

Warten auf den Gesetzgeber – warten auf Godot

Wenn Sie heute noch Par. 622 Abs. 2 Satz 2 BGB lesen, finden Sie dort in der amtlichen Ausgabe des Gesetzes den Hinweis, dass diese Bestimmung wegen „Verstosses gegen europäisches Recht“ (RiL 2000/78/EG) nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 19.01.2010 (C-555/07 Kücükdeveci ./. Swedex GmbH; ABl. C. Nr. 63 S. 4) „nicht anzuwenden (ist)“. Der nationale Gesetzgeber hat es bis heute nicht „geschafft“, diese Bestimmung an geltendes Recht anzupassen. Das „Warten auf den Gesetzgeber“ erinnert an Samuel Beckett und sein Stück „Warten auf Godot“.

An den Anfang scrollen