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Weisungsrecht des Arbeitgebers – unbillig und zu ignorieren?

Ein wichtiges Element der Unternehmens- und Mitarbeiterführung ist das „Direktionsrecht“ oder „Weisungsrecht“ des Chefs gegenüber seinen Mitarbeitern. Dieses Weisungsrecht ist in Par. 106 Gewerbeordnung (GewO) geregelt:

Der Arbeitgeber kann Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Dies gilt auch hinsichtlich der Ordnung und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb. Bei der Ausübung des Ermessens hat der Arbeitgeber auch auf Behinderungen des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen.

 

Mit anderen Worten – solange es keine Festlegung im Arbeitsvertrag gibt, kann der Arbeitgeber die Details der Arbeitsleistung „nach billigem Ermessen“ selbst festlegen. Wenn also der Arbeitsort im Vertrag nicht festgeschrieben ist und der Arbeitgeber mehrere Filialen betreibt, eine in Dortmund und die andere in Berlin, kann er dann den betroffenen Mitarbeiter  „einfach“ versetzen?

Ein solcher Fall kam bis zum obersten deutschen Arbeitsgericht, dem Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt (BAG, Beschl. v. 14.6.2017, Urteil vom 18.10.2017 – 10 AZR 330/16 (A); BAG, Beschl. v. 14.9.2017 – 5 AS 7/17; ).

Im Arbeitsvertrag und dem einschlägigen Tarifvertrag finden sich folgende Bestimmungen:

㤠1
Art und Ort der Beschäftigung
1. Der Arbeitnehmer wird im Aufgabenbereich Service Center Nord in Münster als Immobilienkaufmann voll- zeitbeschäftigt.
2. Die D… ist berechtigt, dem Arbeitnehmer auch eine andere, seinen Kenntnissen und Fähigkeiten entsprechende Tätigkeit, gegebenenfalls auch unter Veränderung des Arbeitsortes/Einsatzgebietes oder des Aufgabenbereiches zu übertragen. Der Arbeitnehmer ist zuvor zu hören.
3. Die Beteiligung des Betriebsrates bleibt hiervon unberührt.
§2
Anzuwendende Regelungen (Tarifbindung)
Das Arbeitsverhältnis unterliegt den für den Arbeitgeber geltenden Tarifverträgen in der jeweils gültigen Fassung.“

 

§ 4 des Manteltarifvertrags vom 14. Oktober 1998 bestimmt:

„Versetzung
Soll ein Arbeitnehmer vorübergehend oder auf Dauer versetzt werden, so sind die Betriebsinteressen mit den Ar- beitnehmerinteressen abzuwägen. Ergibt sich nach Abwägung der betrieblichen Interessen die Möglichkeit einer Auswahlentscheidung, so sind soziale Gesichtspunkte angemessen zu berücksichtigen. Der Arbeitnehmer ist vor seiner Versetzung zu hören. Die Beteiligung des Betriebsrates nach dem Betriebsverfassungsgesetz bleibt hiervon unberührt.“

 

Arbeitsvertrag regelt den Arbeitsort…

Nach einigen Änderungen im Arbeitsvertrag war zwischen den Arbeitsvertragsparteien vereinbart worden:

㤠1
Änderung des Arbeitsvertrages
1. § 1 Abs. 1 Ihres Arbeitsvertrages (Art und Ort der Beschäftigung) erhält folgende Fassung:
Der Arbeitnehmer wird in Dortmund als Immobilienkaufmann im Bereich C and P im Team RE3330 vollbeschäftigt.

Der Arbeitgeber (später „Beklagte“) erteilte seinem Mitarbeiter nach internen Spannungen in der Abteilung die Weisung, in einer anderen Abteilung in Berlin zu arbeiten.  Die Beklagte hörte den Betriebsrat REM mit Sitz in Frankfurt am Main zu der Versetzung an. Der Betriebsrat verweigerte seine Zustimmung zur Versetzung nach § 99 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG unter Hinweis auf Beschäftigungsmöglichkeiten in einem anderen Team in Dortmund. Ein daraufhin eingeleitetes Zustimmungsersetzungsverfahren (Arbeitsgericht Frankfurt am Main – 10 BV 229/15 -) wurde für erledigt erklärt. Unter dem 11. März 2015 wurde dem Betriebsrat die vorläufige Umsetzung der Versetzungsmaßnahme gemäß § 100 BetrVG angezeigt, der Kläger wurde entsprechend unterrichtet. Der Betriebsrat gab zu der vorläufigen Maßnahme keine Stellungnahme ab.
Der Kläger nahm die Arbeit am Standort Berlin nicht auf, worauf ihn die Beklagte mit Schreiben vom 26. März 2015 wegen unerlaubten Fernbleibens von der Arbeit abmahnte und später kündigte. In der weiteren Folge meldete die Beklagte den Kläger bei der Sozialversicherung ab und nahm ab April 2015 keine Gehaltszahlungen mehr vor. Der Kläger erhielt ab
dem 21. April 2015 Zahlungen der Bundesagentur für Arbeit.

 

Das Bundesarbeitsgericht wies die Revision des Arbeitgebers gegen die stattgebenden Urteile der Vorinstanzen Arbeitsgericht Dortmund (Az. 7 Ca 1224/15) und Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm (Az. 17 Sa 1660/15) zurück:
„Die Weisung der Beklagten vom 23. Februar 2015 widersprach zwar weder arbeitsvertraglichen
noch tariflichen Bestimmungen und verstieß auch nicht gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB. Der Betriebsrat wurde ordnungsgemäß beteiligt. Die Weisung entsprach aber – wie das Landesarbeitsgericht zu Recht an-
nimmt – nicht billigem Ermessen iSv. § 106 Satz 1 GewO, § 315 BGB. Deshalb war der Kläger nicht – auch nicht vorläufig – verpflichtet, ihr nachzukommen. Er hat aus diesem Grund auch einen Anspruch auf Entfernung der Abmahnungen
vom 26. März 2015 und vom 22. April 2015 aus seiner Personalakte.“

Den Arbeitgeber trifft das Risiko der Unwirksamkeit einer unbilligen Weisung; dieses könne er nicht auf den Arbeitnehmer abwälzen.

 

… die Versetzungsklausel hebt das auf!

Obwohl der Arbeitsort vertraglich festgelegt war, löste das BAG die Kollision zwischen der Versetzungsklausel und dem festgeschriebenen Arbeitsort: „Die Bestimmung eines Orts der Arbeitsleistung in Kombination mit einer 27 im Arbeitsvertrag durch Versetzungsvorbehalt geregelten Einsatzmöglichkeit im gesamten Unternehmen verhindert nach der Rechtsprechung des Senats re- gelmäßig die vertragliche Beschränkung auf den im Vertrag genannten Ort der Arbeitsleistung (st. Rspr., zuletzt zB BAG 13. November 2013 – 10 AZR 1082/12 – Rn. 26 mwN). Fehlt es an einer Festlegung des Inhalts oder des Orts
der Leistungspflicht im Arbeitsvertrag, ergibt sich der Umfang der Weisungs- rechte des Arbeitgebers aus § 106 GewO. Auf die Zulässigkeit eines darüber hinaus vereinbarten Versetzungsvorbehalts kommt es dann nicht an. Weist der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen anderen Arbeitsort zu, unterliegt dies der Ausübungskontrolle gemäß § 106 Satz 1 GewO, § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB“

Das BAG vertrat letztlich die Auffassung, dass es einer Versetzung des Klägers nach Berlin nicht bedurfte, nachdem die innerbetrieblichen Spannungen aufhörten, als der Kläger in Dortmund in eine andere Abteilung versetzt worden war.

 

„unbillige Weisung“ birgt Risiken 

Mit der Auffassung, dass einer „unbilligen Weisung“ gar nicht zu folgen ist, wich der 10. Senat von der bisherigen Rechtsauffassung des 5. Senats ab. Denn dieser hatte 2012 entschieden, dass ein Arbeitnehmer an eine Weisung des Arbeitgebers, die nicht aus sonstigen Gründen unwirksam ist, vorläufig gebunden ist, bis durch ein rechtskräftiges Urteil gem. § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB die Unverbindlichkeit der Leistungsbestimmung festgestellt wird (BAG, Urt. v. 2.2.2012 – 5 AZR 249/11). Auf entsprechende Anfrage, ob der 5. Senat an seiner Rechtsprechung festhält, erklärte dieser jedoch durch Beschluss vom 14.09.2017, dass er diese aufgebe. Damit war der Weg frei, für die Änderung der Rechtsprechung.

Der Arbeitgeber muss bei der Ausübung seines Weisungsrechts die Belange des betroffenen Mitarbeiters umfassend in eine Abwägung der betrieblichen- und Arbeitnehmerinteressen einstellen. Gibt es ein „milderes Mittel“, so muss der Arbeitgeber dieses wählen, „schießt“ er dabei „über das Ziel hinaus“, so muss der Mitarbeiter der Weisung nicht folgen.

Ein risikoreiches Terrain für Arbeitgeber – wir beraten Sie gerne.

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