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Schmerzensgeld für Videoüberwachung?

Auf dem Terminplan des Bundesarbeitsgerichts (BAG) in Erfurt schon im nächsten Monat eine hochinteressante Fragestellung nämlich die nach der Zulässigkeit der Videoüberwachung von Mitarbeitern durch eine Detektei auf Veranlassung des Arbeitgebers im privaten Umfeld. Die Entscheidung der zweiten Instanz erging vom Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm (Aktenzeichen 11 Sa 312/13, Urteil vom 11.07.2013).

Hintergrund der Entscheidung ist die Krankmeldung einer Mitarbeiterin, die als Sekretärin der Geschäftsleitung im Dezember 2011 in ihrem Betrieb eine Meinungsverschiedenheit mit dem Geschäftsführer hatte. Am 12.12.2011 kam es zum Zwist zwischen Mitarbeiterin und Chef, weil die spätere Klägerin „die Vorlage von Produktunterlagen nicht so erledigte, wie das der Geschäftsführer erwartet hatte“, schreibt das LAG im Tatbestand der Entscheidung.

Am 27.12.2011 war die Klägerin dann krankgeschrieben. Erst wegen einer Bronchitis und ab dem 31.01.2012 wegen eines Bandscheibenvorfalls im Bereich der Halswirbelsäule. Die Krankheiten wurden durch Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (AUB) von den behandelnden Ärzten bzw. dem Hausarzt bescheinigt. Letzterer wurde durch die Fachärzte über die Diagnosen informiert und stellte darauf basierend eine AUB aus. Die AUB wurden allesamt dem Arbeitgeber vorgelegt. Der Arbeitgeber hegte dennoch Zweifel an der Erkrankung und beauftragte eine Detektei, die Klägerin zu observieren. Am 16.02., 17.02., 23.02. und 24.02.2012 wurde die Klägerin fotografiert und gefilmt. Die Fotos wurden den Observationsberichten beigefügt, die Videos von der Detektei verwahrt (und im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung dem Arbeitsgericht übersandt).

In der Folge kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis am 28.02.2012 fristlos, hilfsweise ordentlich. Offenbar war er der Auffassung, dass die Fotos, die die Klägerin beim Verladen eines Wäschekorbes und eines Wäschesackes zeigten, nicht mit der Erkrankung wegen des Bandscheibenvorfalls in Übereinstimmung zu bringen waren.

Mit Ihrer Klage zum Arbeitsgericht Münster vom 14.03.2012 wandte sich die Klägerin erst gegen die Kündigung und erweiterte die Klage später um die Zahlung einer angemessenen Geldentschädigung für die durch die Videoüberwachung eingetretene Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts.

Während das Arbeitsgericht Münster mit Urteil vom 11.01.2013 (Aktenzeichen 4 Ca 455/12) die Unwirksamkeit der vom Arbeitgeber ausgesprochenen Kündigung(en) feststellte, wies es die Klage auf Zahlung von Schmerzensgeld ab. Hiergegen ging die Klägerin in Berufung zum LAG. In der Berufungsinstanz stritten die Parteien nur noch über die Frage der Rechtmäßigkeit der erfolgten Überwachung der Mitarbeiterin und der Anfertigung von Videoaufzeichnungen.

In seiner sehr ausführlich begründeten Entscheidung hat das LAG der Mitarbeiterin eine Geldentschädigung in Höhe von 1.000 Euro zugesprochen und erklärte die Videoüberwachung nach Par. 32 Abs. 1 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) für unzulässig. Das LAG stellt dazu u.a. fest:

Zur Aufdeckung von Straftaten dürfen nach § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG personenbezogene Daten nur dann erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn zu dokumentierende tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass der Betroffene im Beschäftigungsverhältnis Straftaten begangen hat. Ohne Vorliegen konkreter Verdachtsmomente darf der Arbeitgeber den Beschäftigten keinen entsprechenden Kontrollen unterziehen. Erforderlich sind tatsächliche Anhaltspunkte im Sinne eines Anfangsverdachts oder einer hohen Wahrscheinlichkeit einer Tatbegehung. (…) Zwar ist es richtig, dass ein gesunder Arbeitnehmer, der eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vortäuscht und sich so unberechtigt die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall sichert, den Straftatbestand des Betruges nach § 263 StGB verwirklicht. Die Klägerin war jedoch einer solchen Straftat nicht hinreichend verdächtig.

Unstreitig war die Klägerin für die Tage des Beobachtungszeitraums vom Arzt Arbeitsunfähigkeit bescheinigt. Die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist das gesetzlich vorgesehene Nachweismittel, mit dem der Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren Dauer nachweist. Der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt ein hoher Beweiswert zu. (…) Ernsthafte Zweifel an der ärztlich bescheinigten Arbeitsunfähigkeit sind hier nicht begründet.

Dem Arbeitgeber schreibt das LAG „ins Stammbuch“, er hätte die Mitarbeiterin durch den medizinischen Dienst der Krankenkassen nach Par. 275 SGB V begutachten lassen können, statt einen Detektiv auf sie anzusetzen.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass diese Geldentschädigung höher ausfallen müsste und ging in Revision. Das BAG verhandelt den Fall voraussichtlich im Februar 2015 (Aktenzeichen 8 AZR 1007/13). Wir werden berichten. Arbeitgebern ist zu raten, im Zweifelsfalle frühzeitig einen Fachanwalt für Arbeitsrecht in solchen Konfliktsituationen zu Rate zu ziehen und ebenso den medizinischen Dienst der Krankenkassen zur Begutachtung des betroffenen Mitarbeiters einzuschalten. Videoüberwachungen sind nur in engen Grenzen zulässig und müssen ein „letztes Mittel“ darstellen, d.h. dass weniger einschneidende Maßnahmen nicht zum Erfolg führen. Das wäre in der Entscheidung des LAG Hamm aber jedenfalls durch den medizinischen Dienst gewährleistet gewesen.

 

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