Die Medienberichterstattung über den Mitarbeiter "bei Audi", der sich gegen die Verpflichtung gewandt hat, in…
Krank oder doch nicht? Eine Frage mit weitreichenden Folgen…
Arbeitnehmer (AN) haben in Deutschland für die Dauer von bis zu sechs Wochen im Krankheitsfalle Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Zum Nachweis der Erkrankung ist eine sogenannte „Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung“ (AUB) vom Arzt auszustellen. Die AUB darf maximal zwei Tage rückwirkend festgestellt werden (Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 21.06.2012). (wir berichteten)
Die Diagnose wird dabei nur der Krankenkasse in verschlüsselter Form mitgeteilt. Der Arbeitgeber erhält den „gelben Zettel“, wie die AUB auch genannt wird, der das Datum der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit (AU) und die voraussichtliche Dauer der AU enthält. Die AUB hat als Urkunde, die von einem Arzt ausgestellt wird grundsätzlich einen hohen Beweiswert. Bezweifelt der Arbeitgeber (AG) die Krankheit, kann er die Überprüfung der AUB durch den medizinischen Dienst der Krankenkasse verlangen. Folgt der AN einer Vorladung zum medizinischen Dienst nicht, ist der Beweiswert der AUB erschüttert. Stellt der medizinische Dienst die AU ebenfalls fest bzw. bestätigt er die Feststellung des Arztes, ist für den AN alles „in Ordnung“.
Soweit so gut…
Was aber, wenn der AN während diagnostizierter Arbeitsunfähigkeit einer anderen Arbeit nachgeht?
Der Standardkommentar des Arbeitsrechts, der „Erfurter-Kommentar“, berichtet dazu: „Das „Krankfeiern“ und die dadurch bewirkte ungerechtfertigte EFZ im Krankheitsfall bilden einen typischen wichtigen Grund für eine außerordentl. Kündigung (BAG 26.8.1993 AP BGB § 626 Nr. 112; 3.4.2008 NZA 2008, 807; LAG HM 10.9.2003 NZA-RR 2004, 292). Die in diesem Verhalten liegende Straftat zu Lasten des AG (Betrug oder versuchter Betrug) verletzt das Vertrauensverhältnis in seinem Kern, so dass eine vorherige Abmahnung entbehrl. ist (BAG 23.6.2009 NZA-RR 2009, 622). Der an sich hohe Beweiswert einer AUB kann im Einzelfall durch allg. anerkannte Indizien erschüttert sein (vgl. dazu EFZG § 5 Rn. 14 ff.), insb. die über zwei Tage hinausreichende rückwirkende Feststellung der AU lässt den Beweiswert entfallen (LAG MV 30.5.2008 NZA-RR 2008, 500 [Rev. zurückgewiesen BAG 23.6.2009 NZA-RR 2009, 622]). Sollte sich der AN die AUB durch weitere Täuschungshandlungen erschlichen haben, würde dies im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen sein. Schwierigkeiten bereitet die Tatsachenfeststellung. Dass der AN während der Krankheit ein Restaurant, ein Kino oder ähnl. Stätten aufsucht, besitzt nicht in jedem Fall indizielle Wirkung. Vielmehr kommt es auf die Art der Erkrankung an. Aus der Intensität einer während der bescheinigten Dauer der AU ausgeübten Nebenbeschäftigung kann sich der begründete Verdacht ergeben, die AU sei nur vorgetäuscht worden (BAG 26.8.1993 AP BGB § 626 Nr. 112; 3.4.2008 NZA 2008, 807). Bereits das ernst gemeinte Angebot, einem Dritten körperl. schwere Arbeiten zu leisten, kann den Beweiswert einer AUB erschüttern (LAG HE 1.4.2009 – 6 Sa 1593/08 – AuR 2010, 131 [LS]). Der Verdacht des „Krankfeierns“ wird als Verdacht einer strafbaren Handlung als mögl. wichtiger Grund überwiegend anerkannt (LAG M 3.11.2000 LAGE BGB § 626 Nr. 131). Die außerordentl. Kündigung kann ggf. alternativ auf Vortäuschen einer AU oder vorsätzl. Verzögerung des Genesungsprozesses gestützt werden. Während einer krankheitsbedingten AU ist der AN zu einem gesundheitsfördernden Verhalten verpflichtet. Die Verletzung dieser Pflicht kann zur außerordentl. Kündigung berechtigen (BAG 2.3.2006 NZA-RR 2006, 636; 3.4.2008 NZA 2008, 807). – Behindert der AN eine ärztl. Begutachtung seiner Gesundheit durch beharrl. Verweigerung des Einverständnisses zur Beiziehung der Vorbefunde behandelnder Ärzte, kann dieses Verhalten einen wichtigen Grund darstellen (BAG 6.11.1997 AP BGB § 626 Nr. 142).
Der Verdacht des „Krankfeierns“ liegt vor allem dann nahe, wenn der AN als Reaktion auf bestimmte Verhaltensweisen des AG oder anderer Kollegen den alsbaldigen Eintritt seiner AU angekündigt hatte (LAG K 14.9.2000 NZA-RR 2001, 246; 17.4.2002 NZA-RR 2003, 15, 17). Insb. verweigerte Arbeitsbefreiung (LAG D 17.2.1980 DB 1981, 1094; LAG BE 1.11.2000 NZA-RR 2001, 470) oder Urlaubsgewährung kommen als Anlass zu angekündigten Krankmeldungen vor und sind geeignet, den Beweiswert später vorgelegter AUB zu erschüttern (BAG 5.11.1992 AP BGB § 626 Krankheit Nr. 4; 17.6.2003 NZA 2004, 564). Bereits die Ankündigung einer zukünftigen, im Zpkt. der Äußerung noch nicht bestehenden Erkrankung für den Fall, dass der AG einem Verlangen des AN (zB auf Urlaubsgewährung) nicht entsprechen sollte, ist ohne Rücksicht auf die später tats. auftretende Krankheit an sich als wichtiger Grund geeignet (BAG 17.6.2003 NZA 2004, 564; 12.3.2009 NZA 2009, 779; LAG MV 13.12.2011 NZA-RR 2012, 185). Ist die krankheitsbedingte AU zurzeit der Drohung obj. bereits gegeben, kann dies entlastend wirken (BAG 12.3.2009 NZA 2009, 779).“
Letztlich ist das Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AUB) für sich genommen ein starkes Indiz für eine tatsächlich vorliegende Erkrankung. Welche Tätigkeiten in einer diagnostizierten Krankheit noch „genesungsdienlich“ ausgeübt werden können, hängt vom Krankheitsbild ab. Im Zweifel sollten Sie einen Arbeitsmediziner und einen Fachanwalt für Arbeitsrecht konsultieren.
Dringend gewarnt werden muss vor der „Simulation“ einer Krankheit und dem zeitgleichen Bezug von Entgeltfortzahlung. Das könnte als strafrechtlich relevanter Betrug zum Nachteil des Arbeitgebers gewertet werden.