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Gender-Sprache im Betrieb – was kann der Arbeitgeber vorschreiben?

Wenn Arbeitgeber den Mitarbeitern einen „Leitfaden“ für „richtige Sprache“ an die Hand geben, dann ist das schon etwas Besonderes. Der Automobilhersteller AUDI hat nach Berichten der WELT einen „Leitfaden für gendersensible Sprache“ aufgelegt und im Betrieb verteilt. Während die Gesellschaft für deutsche Sprache von „Gendersternchen“ nicht viel hält, setzt der Autobauer darauf „die Vielfalt der Geschlechter besser abzubilden“, wie der Bayerische Rundfunk recherchierte. Die Richtlinie des Unternehmens soll für die interne und die externe Kommunikation Verwendung finden.

Richtlinie für gendergerechte Sprache und Schrift

Was der Autobauer unter „Vielfalt der Geschlechter“ versteht, sollte man objektiv einzuordnen versuchen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zum „dritten Geschlecht“ die statistische Häufigkeit derlei Betroffenheit herausgearbeitet:

Die Angaben zur Anzahl der Menschen in Deutschland mit Varianten der Geschlechtsentwicklung variieren je nachdem, welche Erscheinungsformen gezählt werden. So wird beispielsweise eine Häufigkeit von 1:500 Intersexuellen in der Bevölkerung angegeben (Pschyrembel, a.a.O., Stichwort: Intersexualität), was einer Anzahl von circa 160.000 Personen in Deutschland entspricht (weitere Zahlenangaben bei Schmidt am Busch, AöR 2012, S. 441 <443>; Böcker/Denk u.a., Pathologie, 5. Aufl. 2012, S. 730; Johow/Voland, APuZ 2012, S. 9 <12 f.>; Helms, Brauchen wir ein drittes Geschlecht?, 2015, S. 3 m.w.N.; Bundesärztekammer, a.a.O., S. 4; vgl. auch Althoff/Schabram/Follmar-Otto, Gutachten Geschlechtervielfalt im Recht – Status quo und Entwicklung von Regelungsmodellen zur Anerkennung und zum Schutz von Geschlechtervielfalt, BMFSFJ (Hrsg.), 2017, S. 18 und Fn. 39).

(Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 10.10.2017, 1 BvR 2019/16, Rn. 10)

Nicht umsonst wird auch kritisiert, dass dem Druck, woher er auch immer aufgebaut wird, nachgegeben wird, dass sich die gesellschaftliche Mehrheit nach den Minderheiten auszurichten habe. Die Aussage der Konzern-Pressesprecherin, „gendersensibel“ zu kommunizieren sei eine „Frage des Respekts und Ausdruck einer Haltung gegen Diskriminierung und für Vielfalt“, kann getrost, nicht nur satirisch  kritisch hinterfragt werden.

wer diskriminiert hier wen?

Das dachte sich wohl auch ein Mitarbeiter des Ingolstädter Autobauers, der sich selbst durch die Richtlinie des Arbeitgebers, gendergerecht zu sprechen, zu schreiben und auf diese Art angesprochen zu werden, selbst diskriminiert fühlt, wie die Augsburger Allgemeine berichtet.

Die bei Audi vorgeschriebene Regelung des sogenannten Gender Gap, der den Wortstamm als Unterstrich mit der weiblichen Endung wie „Mitarbeiter_in“ verbindet, schaffe – „unter umgekehrten Vorzeichen – neue Ungerechtigkeiten“, heißt es in der Klageschrift. „Das Weglassen spezifischer männlicher Endungen und Wortstämme kann nicht als Vorteil gewertet werden, sondern gestaltet sich als fortgesetzte Diskriminierung“, argumentieren die Anwälte.

(aus dem Bericht der Augsburger Allgemeine, online vom 19.05.2021)

Eine Klage mit verfassungsrechtlichem Potential

Die Anwaltskollegen des betroffenen Mitarbeiters haben Klage zum Landgericht Ingolstadt eingereicht. Vorausgegangen war der Klage augenscheinlich die Aufforderung an den Arbeitgeber, die Anwendung der Unternehmensrichtlinie zu unterlassen. Diese „Unterlassungserklärung“ abzugeben hatte sich AUDI offensichtlich geweigert. Deshalb kam es zur Klage. Das Verfahren hätte man auch mit guten Gründen vor dem Arbeitsgericht führen können – stellt die Unternehmensrichtlinie doch eine Weisung den Inhalt der Arbeitsbedingungen betreffend dar. Nach Par. 106 Gewerbeordnung kann der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung näher bestimmen…

Der Arbeitgeber kann Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Dies gilt auch hinsichtlich der Ordnung und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb. Bei der Ausübung des Ermessens hat der Arbeitgeber auch auf Behinderungen des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen.

(Par. 106 Gewerbeordnung)

Den Arbeitnehmern die Art und Weise zu sprechen und zu schreiben vorschreiben zu wollen, stellt einen Eingriff in die Selbstbestimmung und Entfaltung der Persönlichkeit nach Art. 1 und 2 Abs. 1 GG dar. Das von AUDI aufgeworfene Thema hat erhebliche Bedeutung und Potential für eine grundlegende verfassungsrechtliche Klärung; das wäre dann eine denkbare „Anschlussentscheidung“ an die eingangs zitierte BVerfG-Entscheidung.

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